Die "Burg"

"Von der barocken Bautätigkeit zeugen in Vreden heute das als "Burg" Bezeichnete Herrenhaus, die Kapelle Maria-Brunn am Stadtstrand in der Bauerschaft Kleinemast und vor allem die Kirche des ehemaligen Minoritenklosters in der Bauerschaft Zwillbrock. Die alte fürstliche Burg, deren Geschichte bereits oben erwähnt wurde, war 1596 nach einem Bericht des Bürgermeisters vom Verfall bedroht. In den Jahren 1607 und 1608 erkundigte sich Kurfürst Ernst von Bayern als Bischof von Münster und Erzbischof von Köln mehrfach nach "unserm Haus und Schloss in Vreden". Die Burg machte damals aber einen erbärmlichen Eindruck, wie der Ahauser Richter Conrad Volbier an 18. August 1608 nach einer ausführlichen Besichtigung im Beisein des Ahauser Amtsrentmeisters schrieb. Wenige Tage zuvor hatte der Vredener Richter Bernhard von Büren die Beamten zu Ahaus darauf hingewiesen, dass auf der Burg schon 80 Jahre keine Hofhaltung mehr stattgefunden habe, nur dass beim Tode eines Landsherrn, während das Domkapitel die Macht ausübte, hier einige Pferde untergestellt waren. Anlässlich dieser Besichtigung hat Volbier eine farbige Zeichnung der Burgruine hergestellt oder herstellen lassen, die er seiner Beschreibung beifügte. Die Angaben der Zeichnung wurden im wesentlichen durch die Funde, die anlässlich der Ausschachtungsarbeiten für den Erweiterungsbau des Rathauses zutage traten, bestätigt.

 

Wie die Abbildung zeigt, war die Burg im Nordosten (oben rechts) vom "binnen grave negest der veltseit" und dem "baußen grave negst den velde" (= Außengraben) umgeben. Zwischen beiden Gräften lag ein Wall, der Buten- oder Außenwall. auch zur Stadtseite war die Burg vom Wasser eingerahmt, nämlich durch den "grave binnen der Stat", den man, der Zeichnung nach zu urteilen, auf einem kleinen Damm überqueren konnte. Von der Stadtseite - heute etwa in Höhe der zum Rathaus gehörenden Garagen - gelangte man durch die "Porta intrandi ex civiatis" (= Eingangstor aus der Stadt) auf diesen kleinen Damm und erreichte hierüber die "altera porta", die zweite oder andere Pforte. Über diesem Tor befand sich ursprünglich das fürstliche Gemach mit einem Umfang von 26 mal 22 Fuß, das 1608 aber völlig verfallen war und von dem nur noch zwei Fensterhöhlen im Mauerwerk zu erkennen sind.

 

Zeichnung des Vredener Burggeländes aus dem Jahr 1608

 

Eine zweite Toranlage führte im Norden aus der Burg - Mitte der rechten Burgseite - hinaus ins Feld, deren Überreste 1970 freigelegt werden konnten. "Vestigia pontis antiquae" - Spuren einer alten Brücke - sind auf der Abbildung als Pfeilerreste im Binnengraben deutlich erkennbar. Oben links im Bild ist der "große vierkanter Toren" zu sehen, dessen Maße in der Beschreibung mit 24 mal 24 Fuß (= ca. 8m mal 8 m) angegeben werden. Seine Fundamente liegen heute unter der Alstätter Straße neben dem jetzigen Rathaus. Der Turm hatte 1608 offensichtlich von seiner ursprünglichen Höhe schon einiges eingebüßt und wurde von einem zerfallenen Giebeldach, das man in die Turmruinen gesetzt hatte, nach oben abgeschlossen.

 

Am 21. August 1608 schreiben Vredens Richter Bernhard von Büren und der Vogt Johann Randeroth erneut an die Beamten zu Ahaus und teilen die Größe des Vorplatzes der Burg mit, den der Meister Johann Strobandt abgemessen hatte. Danach maß die Seite "nach den Mauern von der Burg ab 155 Fuß, die andere Seite nächst dem Turm nahe dem Burggarten 140 Fuß, das eine Ende nahe der Burg die Breede sei 110 Fuß, der endt nahe Rettbergs Behausung die Breede sei 45 Fuß". Der Burggarten sei während der spanischen Besetzung ganz verwüstet worden, "also sie ihren Boppell und Spillplatz darin gehabt". Schließlich vermerken sie, dass sich keine Wappen mehr auf dem Burggelände finden, das letzte sei von Sachsen gewesen (Bischof Erich II. von Sachsen-Lauenburg 1532). Zur Fischerei in der Stadtgräfte sei der Landesfürst, nur soweit sich die Burg erstreckt, berechtigt, weiter nicht nach alter Überlieferung. In Kriegszeiten würde die Wacht auf der Burg durch das Landvolk gehalten.

 

Die Burg verfiel in den folgenden Jahren weiter. Am 11. Januar 1620 heißt es, dass neulich das Dach des Turmes heruntergefallen sei, und Bürgermeister und Rat beklagen sich beim Landsherrn, dass die Stadtbefestigung gerade hier, wo sie am stärksten sein sollte, am schwächsten sei, weil nichts repariert würde. 1622 äußerten Vredens Bürgermeister Wolter Abbing sowie der Rentmeister und der Sekretär der Stadt bei den landsherrlichen Behörden ihren Unmut über den Zustand der Burg während des Krieges. Während man die Wälle der Stadt in Ordnung gebracht habe, könne das Gelände an der Burg nicht bewacht werden, weil die Burg verfallen sei. Auch im Jahre 1625 ist erneut von den Wachen der Bürgerschaft die Rede. Im September äußert man von Münster aus, dass man "erster Zeit" die Wälle und Festung in Vreden in Augenschein nehmen wolle. Inzwischen hatte der Obrist Otto Ludwig von Blanckhart mit Soldaten in Vreden Position bezogen.

 

In der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges besetzten die Hessen Vreden. Unter ihrer Herrschaft wurde die Stadtbefestigung geschleift und dabei der Außen- oder Zingelgraben mit den Erdmassen des Butenwalls zugeworfen. Auch nach Abzug der Besatzung wurde das Planierwerk von den Bürgern fortgesetzt, die das Gelände um den Butenwall in Gärten verwandelten. In dieser Situation stand natürlich eine Renovierung bzw. ein Wiederaufbau der Burg nicht zur Diskussion, vielmehr wurde auch das Gelände im Burghof und um die Burg herum als Gartenland erschlossen.

 

Die Situation auf dem Burggelände änderte sich jedoch vollkommen, als am 15. Juni 1690 der Obristwachtmeister zu Pferde und Generalquartiermeister Gottfried Maximilian Henrich von Nahmen durch Fürstbischof Frierich Christian von Plettenberg mit dem "vor Jahren wüst gelegenen, nachgehendts aber von weiland Conradten Wessels zum Garten aptirten Burgplatz in Gnaden" belehnt und damit für seine und seiner Vorfahren erwiesenen getreuen Dienste belohnt wurde. Bei diesen Diensten handelte es sich vor allem um die Teilnahme an verschiedenen Feldzügen, insbesondere an den Türkenkriegen.

 

Über die genaue Herkunft dieser Familie, die seit 1670 in Westfalen nachweisbar ist, konnte bislang wenig in Erfahrung gebracht werden. Die Eltern des Obristwachtmeisters waren der kurbrandenburgische Oberst Adrian von Nahmen und seine Frau Gesina Pottgießer, die in Burgsteinfurt nachweisbar ist, wo der Oberst offensichtlich gestorben ist. In zweiter Ehe heiratete die Witwe den Dr. juris utriusque Johann Bitter Cohaus, der seit 1657 kapitularischer Amtmann des Vredener Stifts war, und zog mit ihren Kindern aus erster Ehe nach Vreden. Darunter befanden sich Johann Adrian von Nahmen, der spätere fürstbischofliche Richter von Vreden und zum Gerkinglo, und der Erbauer des Vredener Herrenhauses Gottfried Maximilian Heinrich. Trotz der Belehnung war es für den Rittmeister nicht leicht, in den Besitz aller Burgparzellen zu kommen, die als Gartenland verpachtet waren. Im Jahre 1699 hat von Nahmen, wie es heute die Inschrift über dem Eingang zum Rathaus verkündet, auf dem Burgplatz, der den Akten nach nur aus einem Steinhaufen bestand, "aus eigenen Mitteln die Burg" neu erbaut. Als "Burg" war allerdings statt einer wehrhaften Anlage ein barockes Herrenhaus entstanden. Welchen Baumeister von Nahmen für Planung und Ausführung gewinnen konnte, geht leider aus den Archivalien nicht hervor.

 

Am 21. Februar 1709 verstarb der Obristwachtmeister der Kavallerie von Nahmen in Vreden. Er hatte, wie anlässlich seines Todes vermerkt wird, in verschiedenen Kompanien Kriegsdienste geleistet. Gottfried Maximilian Heinrich von Nahmen war verheiratet mit Anna Brigitte von Kerssenbrock, die aus einem Adelsgeschlecht stammte, das im Lippischen beheimatet ist, deren Vorfahren aber in Diensten der Abtei Vreden standen. An das Ehepaar Nahmen-Kerssenbrock erinnern noch die Wappen im heutigen Rathaus. Sie zeigen das von Nahmensche Wappen mit den drei übereinanderliegenden Sparren, dann das von Kerssenbrocksche Wappen mit drei Rosen im Rechtsschrägbalken und das Osthoffsche Wappen der Mutter von Anna Brigitta von Kerssenbrock, den Eichenlaubzweig.

 

Die Finanzen der Familie von Nahmen entwickelten sich allerdings nicht wunschgemäß, sodass die Unterhaltung des Herrenhauses in Vreden zur Last wurde. So bat der Rittmeister und spätere Obristleutnant Johann Joseph Casimir von Nahmen am 20. Oktober 1744 um die Erlaubnis, das Leben anderen überlassen zu dürfen, da seit dem Tode seiner Mutter im Jahre 1741 die Burg "so erschräcklich und miserabel verfallen thuet, dass schier nicht wieder kann bewohnt werden". Doch wurde ihm hierzu keine Genehmigung gegeben, und der einst feudale Sitz entwickelte sich zu einer finanziellen Belastung. Auch Vredens Richter Vinzenz Henrich von Raesfeldt bestätigte dem Landsherrn, dass "die zu Vreden belegene Behausung, die Burg genannt, durch einen im vorigen Jahr entstandenen heftigen Wind und sonst in vielen Jahren nicht geschehener Reparation dergestalt ruiniert, dass sich kaum einer darin zu wohnen getrauen dörfte und dann die nunmehro höchst nöthige Reparation wenigstens unter 1000 Rt. nicht verfüget werden könne".

 

Auch unter den späteren Erben verfällt die Burg erneut. Ende des 18. Jahrhunderts wohnt kein Mitglied der Familie von Nahmen mehr in Vreden. 1794 berichtet der Vredener Magistrat den Beamten zu Ahaus, dass sich in der sogenannten Burg acht Wohnungen befänden, in denen allerlei Gesindel wohne, das die Kriegszeiten hierher verschlagen hätten. Das Gebäude wurde in den folgenden Jahrzehnten, nachdem das Lehen aufgrund der Säkularisation von 1803 in den persönlichen Besitz der auswärts wohnenden und weitgehend völlig verarmten Erben von Nahmen übergegangen war, kaum genutzt. Von 1800 an bis zur Mitte des Jahrhunderts fehlen Nachrichten über dieses Haus.

 

Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die salm-salmsche Verwaltung ein Gebäude für einen Kornspeicher in Vreden als Ersatz für die bislang zu diesem Zweck genutzte Hohe Schule an der Stiftskirche sucht, gibt der Salmsche Revierförster Coppenrath am 24. Januar 1849 seiner vorgesetzten Behörde den Hinweis auf die Burg, die "ein sehr angemessenes Gebäude zu einem Kornspeicher sein würde, in welchem zugleich ein Rentmeister oder Kornbeamter eine gute Wohnung haben könnte". Die Baubeschreibung vom 16. März 1849 erwähnt die Freitreppe des Hauses und den Gewölbekeller, zeigt aber auch auf, dass nicht mehr alle Fenster mit Glas versehen und z.T. zugemauert sind. Schon recht bald werden Verhandlungen mit den Eigentümern aufgenommen, die das Gebäude mit den zugehörenden Parzellen am 14. September 1849 an Fürst Alfred von Salm-Salm verkaufen.

 

Ab 1850 erfolgte eine durchgreifende Renovierung, um im Gebäude eine Wohnung für den Förster des Fürsten und einen Kornboden einzurichten. 1876 wollte die Stadt Vreden die Burg mieten oder kaufen, um darin eine Töchterschule einzurichten, doch konnte diese Absicht nicht verwirklicht werden. Das Gebäude diente weiterhin dem salm-salmschen Förster und den schnell abwechselnden höheren Zollbeamten als Wohnung. Eine Änderung in der Nutzung gab es 1911, als der fürstliche Rentmeister das Gebäude an Pfarrer Deiters zwecks Einrichtung einer "Kinderwahranstalt und einer Handarbeitsschule" vermietete. 1920 und 1921 diente die Burg noch als Kinderbewahranstalt, die offensichtlich von den Schwestern unserer lieben Frau versorgt wurde, die in der Burg auch eine Kapelle eingerichtet hatten.

 

Bis 1960 verblieb das Gebäude im fürstlichen Besitz und wurde in dieser Zeit für unterschiedliche Zwecke genutzt. 1960 erwarb es die frühere Gemeinde Ammeloe, um es nach einer gründlichen Restaurierung als Amtshaus einzurichten. Als es dann im Jahre 1969 zum Zusammenschluss der Stadt Vreden mit der Gemeinde Ammeloe kam, bot die Burg bessere Voraussetzungen zum Rathaus als das städtische Verwaltungsgebäude am Marktplatz. Zu diesem Zweck wurde der "Burg" ein Gebäudetrakt angefügt. Bei den Ausschachtungsarbeiten zum Erweiterungsbau kamen Fundamente der alten bischöflichen Burg zutage, die leider abgetragen werden mussten. Mit der Skizzierung der Burggeschichte haben wir den einzigen profanen Barockbau Vredens beschrieben. Alle anderen Barockbauten oder barocken Kunstwerke, von einigen Bildstöcken mal abgesehen, sind von kirchlicher Seite errichtet bzw. in Auftrag gegeben worden."

 

Das barocke Herrenhaus, heute das Rathaus der Stadt Vreden beherbergend.

 

Quelle: Terhalle, Hermann "Vreden an der Jahrtausendwende, Landschaft und Geschichte", Heimatverein Vreden im Selbstverlag, 1999